Viele Anleger sind derzeit verunsichert. Die Kapitalmärkte geben einfach keine Ruhe: Die Aktienmärkte befinden sich nicht erst seit Beginn der Schuldenkrise in einer rasanten Achterbahnfahrt, und in den letzten zwei Jahren verloren viele europäische – und auch US-amerikanische – Staatsanleihen den Nimbus der Risikolosigkeit. Doch gerade in turbulenten Zeiten sind risikoarme Anlagen begehrt. Der Ruf nach Sachwerten ist sehr laut geworden. Die meisten Menschen denken hierbei sofort an Immobilien, Infrastruktur, Rohstoffe. Doch sind (deutsche) Immobilien wirklich ein so sicherer Anlagehafen? Tatsächlich gibt es gute Gründe für die Annahme, mit einer Immobilieninvestition ruhige Nächte zu erkaufen – zumindest relativ zu anderen Anlageklassen. Die deutsche Wirtschaft kam sehr rasch und stark aus der Rezession; auf dem Arbeitsmarkt hat die Krise bisher kaum Spuren hinterlassen. Dies hat sich in steigende Nachfrage auf allen Vermietungsmärkten übersetzt. Für eigenkapitalstarke Investoren ist zudem das Finanzierungsumfeld weiterhin sehr attraktiv, und v.a. im Wohnungssegment wurde in den letzten Jahren zu wenig gebaut, sodass von der Angebotsseite keine Risiken drohen. Dies spricht für steigende Mieten und rechtfertigt demnach auch höhere Immobilienpreise – eher für Wohnungs- und Einzelhandelsimmobilien als für Büroobjekte. Insofern spricht einiges für die Annahme, dass einige Immobiliensegmente relativ sichere Anlagehäfen sind. Die Betonung muss aber leider auf dem kleinen Wörtchen „relativ“ liegen.
Denn trotz all der guten Gründe für ein Immobilienengagement sollten sich Anleger darüber im Klaren sein, dass die Sicherheit des Immobilienanlagehafens immer am Tropf gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen hängt. Wenn sich also aktuell das konjunkturelle Umfeld rapide verschlechtert, sind dies auch schlechte Nachrichten für die Vermietungsmärkte. Dies gilt stärker für Gewerbeimmobilienmärkte als für die Wohnungsmärkte. Solange das Käuferinteresse anhaltend hoch bleibt, bedeutet eine Abkühlung auf den Vermietungsmärkten, dass die Mietrenditen sinken werden. Sobald die Finanzierungszinsen auch für eigenkapitalstarke Investoren steigen, könnte hieraus ein gefährlicher Bumerang werden. Noch profitieren Immobilienanleger von einem positiven Finanzierungshebel; die Gesamtrendite der Immobilie liegt meistens oberhalb des Finanzierungszinses. Je stärker nun die Mietrendite sinkt, desto eher wird sich bei steigenden Zinsen auch für private Kapitalanleger die hässliche Kehrseite des Leverage-Effekts zeigen. Dann bliebe nur noch die spekulative Hoffnung auf eine positive Wertänderungsrendite. Je später ein Anleger in einem steigenden Markt eingekauft hat, desto unwahrscheinlicher ist solch positive Wertänderungsrendite in einem Umfeld steigender Zinsen und allenfalls moderat steigender Mieten. Investoren sollten aktuell also nicht einfach dort nach Objekten suchen, wo in den letzten Monaten die Preise am stärksten gestiegen sind, sondern dort, wo die Preiszuwächse am besten durch höhere Mieten gerechtfertigt waren. Dies kann durchaus auch außerhalb der Big-6 sein – sogar in einigen ostdeutschen Städten.
Hinzu kommt, dass neben den immobilienspezifischen Risiken wie dem Lage- oder dem Objektrisiko in den nächsten Jahren der anschwellende Finanzierungsbedarf institutioneller Anleger für Unruhe auf den Immobilienmärkten sorgen wird. Dies betrifft sowohl Gewerbeimmobilien als auch einige große Wohnungsportfolios. Für solche Transaktionen hat sich das Finanzierungsumfeld in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert. Der Markt für Verbriefungen von Gewerbeimmobilienkrediten ist noch immer in Schockstarre, und die regulatorischen Veränderungen im Zuge von Basel III oder Solvency II bergen weitere Belastungen: Denn entweder die Anschlussfinanzierung kommt gar nicht erst zustande, weil die Banken deutlich vorsichtiger agieren müssen als vor dem Jahr 2007 oder aber der Finanzierungsbedarf in der Immobilienwirtschaft engt den Kreditspielraum für die restliche Wirtschaft ein. Dann wären nicht nur die Investmentmärkte geschwächt, sondern auch die Vermietungsmärkte.
Doch sind diese Verwerfungen für private und/oder eigenkapitalstarke Investoren überhaupt relevant? Leider ja, auch wenn die Finanzierungskonditionen aktuell noch günstig sind. Denn jedes der beiden oben skizzierten Szenarien, das aus der Refinanzierungsproblematik erwachsen kann, würde die Immobilienmärkte insgesamt belasten – wenn auch nicht alle Segmente gleich stark. Doch selbst Top-Wohnobjekte in der Innenstadt verlieren an Wert, wenn die Top-Mieter ihren Job oder Bonus verlieren. Daher ist es wichtig, dass Immobilienanleger auch in der aktuellen Konstellation nicht die spezifischen Risiken einer Immobilienanlage und deren Anfälligkeit gegenüber gesamtwirtschaftlichen Schwankungen unterschätzen. Der Cash-Flow Anteil der Immobilienrendite sollte daher in der Kalkulation von risikoaversen Investoren immer den größeren Teil der Gesamtrendite ausmachen. Bevor dies jedoch missverstanden wird: die Risiken sind aktuell konzentriert auf stark fremdfinanzierte große Portfolios und auf wenige Teilmärkte, in denen zuletzt sehr teuer eingekauft wurde. Für die meisten deutschen Wohnungsinvestments behält die Aussage von oben Bestand: Diese Investitionen können im aktuellen Marktumfeld als „relativ“ sichere Anlagehäfen gelten.
Weitere Veröffentlichung dieses Texts:
Just, Tobias: Nicht immer der sichere Hafen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (2011-12-09), Nr. 287, S. 39